Das Müllmärchen: Wo unser Müll landet und was daraus entsteht | STERN.de

2021-10-22 08:47:12 By : Mr. Wemaxpower WMX

Glas kann ohne Qualitätseinbußen eingeschmolzen und beliebig oft wiederverwendet werden. Das kann kein anderes Verpackungsmaterial. Zufrieden blickt Torsten Büge über seine glitzernden Alpen. Der Chef der Glasrecyclinganlage sieht in dem stinkenden Panorama vor allem eines: "Glas ist ein Rohstoff, und zwar ein ganz besonderer. Es ist kein Müll."

Denn niemand mag Müll. Es ist das hässliche Überbleibsel der schönen Konsumwelt. Ausgeschrottete leere Joghurtbecher, alte Zeitschriften, geschmorte Toaster, verschimmeltes Brot, leere Weinflaschen, volle Windeln - nichts davon hat einen Wert für den, der sie in den Mülleimer schmeißt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Abfall wertlos ist. Es ist eine wertvolle Ressource. Trennen, recyceln, einschmelzen, kompostieren, verbrennen: In der Metropole Hamburg sorgt ein stetiger Abfallstrom für Nachschub.

Glas schließt bei Torsten Büge seinen Lebenszyklus und beginnt gleichzeitig einen neuen. In Deutschland gibt es seit 1974 ein bundesweites Sammelsystem für Glas mit 250.000 Behältern im Land. Und die Deutschen benutzen sie fleißig. Sie werfen jedes Jahr 2,3 Millionen Tonnen Glas ein. Rund 40.000 Tonnen davon werden im Recyclingzentrum Büge abgeladen.

Dort wird das Glas sortiert – von Hand. Aus den Glasbergen fischen die Mitarbeiter Plastiktüten, Teppichreste, manchmal sogar Windeln oder Geldbörsen. Hier ist schon alles angekommen, was durch die schmale Öffnung des Containers passt. Ein Förderband transportiert das Material dann zu einem riesigen Magneten, der den Schraubverschluss aus dem Glas zieht. Die Deckel sind ein willkommenes Zusatzeinkommen. Sie werden als Altmetall verkauft.

Büges schlimmster Feind trägt das Kürzel „KSP“: Keramik, Stein und Porzellan. Ist zu viel davon im Altglas, bilden sich Einschlüsse im daraus hergestellten Glas. Auch bei 25 Gramm KSP pro Tonne – das entspricht einem daumennagelgroßen Porzellanstück – ist die Ware unbrauchbar. Hochsensible Sensoren scannen daher jeden Zentimeter der Scherben. Sind sie durchscheinend? Dann werden sie als Glas erkannt und dürfen passieren. Auf diese Weise sortiert das System auch grüne Scherben aus weißem Glas und umgekehrt. Die Kameras des Systems können bis zu 16 Millionen verschiedene Farben unterscheiden.

In der nahegelegenen Glashütte wird Büges Glas eingeschmolzen und Gläser für Marmelade, Honig oder Würstchen hergestellt. Im Durchschnitt besteht jede Glasflasche im Handel zu rund 60 Prozent aus recyceltem Glasscherben. 

Heute fahren im Zehn-Minuten-Takt 40-Tonner mit Papiermüll auf den Hof der Anlage.

Vielleicht ist es Justus Claproth zu verdanken, dass es noch immer große Waldflächen auf der Welt gibt. Der Anwalt gilt als Erfinder des Recyclingpapiers. In der Veröffentlichung "Eine Erfindung, um aus bedrucktem Papier neues Papier zu machen" beschrieb er seine Versuche, Papier wieder in Fasern zu brechen und die Druckfarbe zu entfernen. Das war 1774. Sein sogenanntes Deinking-Verfahren brauchte jedoch rund 175 Jahre, um sich industriell zu etablieren. Heute beträgt der Anteil von Altpapier an der gesamten inländischen Papierproduktion rund 74 Prozent.

Papier ist geduldig. Und das unglaublich schnell: Wer seine Zeitung in Schleswig-Holstein oder Hamburg in die Blaue Tonne wirft, kann die Fasern seiner Morgenlektüre vielleicht noch Stunden später in der Hand halten. Das Papier muss nur noch schnell in die Recyclinganlage gebracht werden. In wenigen Minuten trennt sie Papier von Pappe, entfernt Büroklammern, schält Akten aus Ordnern, sortiert helle, nasse und dunkle Gegenstände auf rasselnden, blitzschnellen Verbindungsschienen.

Qualität und Weißgrad des Papiers sind mittlerweile so gut, dass auf den ersten Blick kaum ein Unterschied zu Frischfaserpapier zu erkennen ist. Ökologisch liegen jedoch Welten: Die Herstellung von Papier aus Altpapier verbraucht bis zu 83 Prozent weniger Wasser und 72 Prozent weniger Energie als die Produktion mit Frischfasern. Und dafür wird kein Baum gefällt. Den Spareffekt hat das Umweltbundesamt in das bürotaugliche Format „Kaffeetassen“ umgesetzt. Der Kauf einer Packung mit 500 Blatt Recycling-Qualitätspapier spart nicht nur 5,5 Kilogramm Bäume vor dem Fällen, sondern kann mit der eingesparten Energie auch 525 Tassen Kaffee zubereiten.

Dennoch blickt Feuersinger mit Sorge in die Zukunft: „Die Digitalisierung verändert unser Geschäft.“ An jedem Altpapierbehälter sieht man, was er damit meint: Die Menge an hochwertigem Papier aus Zeitschriften und Flyern sinkt, gleichzeitig steigt die Menge an Verpackungskartons. Aber aus braunem Karton wird nie weißes Papier. Andere Unternehmen stellen bereits auf die Kartonproduktion um. Steinbeis sieht jedoch Chancen, sich langfristig in seinem Markt zu behaupten. „Wir fühlen uns manchmal wie das kleine gallische Dorf“, sinniert der Manager.

Aber wertvoller Schrott, das wusste Fuchs. Seine Aufgabe als Manager bei Aurubis ist es, im großen Stil wertvolle Metalle aus defekter Elektronik zu gewinnen.

Das Unternehmen betreibt in Lünen eine der weltweit größten Recyclinganlagen für Kupfer. Aus 400.000 Tonnen recycelten Rohstoffen, darunter Kupferabfälle aus der Industrie, werden hier jährlich 200.000 Tonnen reines Kupfer produziert. Hinzu kommen Gold, Silber und andere Edelmetalle aus elektronischen Bauteilen. „Mit einem modernen Smartphone können wir eigentlich alles außer dem Akku recyceln“, sagt Fuchs. Das Geschäft lohnt sich. In Deutschland werden jährlich rund 24 Millionen Smartphones verkauft. Allein dafür braucht es die Industrie

Und irgendwann kommt der Tag, an dem die einst schicken neuen Gadgets im Müll landen – hoffentlich auf dem Recyclinghof.

Ein Blick auf Deutschlands Tonnen zeigt: Kein anderer Abfall weist Wachstumsraten auf wie Elektroschrott. Im Jahr 2016 produzierte jeder Bundesbürger durchschnittlich 22,8 Kilogramm dieses Abfalls. Smartphones, Tablets oder Laptops machen dabei keineswegs den Löwenanteil aus, sondern Haushaltsgeräte wie Staubsauger, Toaster, Mikrowellen und Kühlschränke.

Fuchs kauft das Material weltweit, aber hauptsächlich in Europa, von rund 200 Lieferanten. Der Elektronikschrott wird meist vorsortiert angeliefert, etwa eine LKW-Ladung PC-Komponenten für eine halbe Million Euro. In einem aufwendigen Verfahren werden dann die Innereien gewonnen: Gold, Silber, Platin oder Kupfer.

Wertvoll, weil endliche Rohstoffe. Apple hat bereits angekündigt, seine Produkte künftig nur noch aus recyceltem Material herzustellen, dessen saubere Herkunft nachgewiesen ist. Manche Smartphone-Hersteller reparieren defekte Geräte mittlerweile in ihren eigenen Werkstätten, anstatt sie wie in der Vergangenheit wegzuwerfen und gegen ein neues Gerät einzutauschen.

Elektroschrott ist ein boomender Markt mit viel Raum für Verbesserungen. Denn die Wahrheit ist: Nur ein Fünftel des weltweiten Elektroschrottberges wird professionell geholt, wertvolle Wertstoffe. Von dem geschätzten Gesamtwert aller Wertstoffe im Abfall von rund 55 Milliarden Euro im Jahr 2016 verschwindet ein Großteil einfach – auf Deponien, in Schrottpressen oder Verbrennungsanlagen. Ausrangierte Geräte verstauben bestenfalls in Schubladen oder Schränken.

Im schlimmsten Fall landen die Geräte bei dubiosen Händlern und finden ihren Weg auf afrikanische Deponien, wo das wertvolle Metall in offenen Feuern unter freiem Himmel verbrannt wird. 

Wenn Eisen und Bronze ihrer Zeit ihren Namen gaben, sollte unsere Epoche als Zeitalter des Plastiks in die Geschichte eingehen. Zwischen 2005 und 2015 ist die Menge an Plastikmüll in Deutschland nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft um 29 Prozent gestiegen. Statistisch hinterlässt jeder Bundesbürger jährlich 37 Kilogramm Verpackungsmüll aus Kunststoff.

Kunststoff klingt einheitlicher als er ist und Recycling wird komplizierter, wenn die Materialien besonders vielfältig sind. „Die Zusammensetzung ist oft schwierig und viele Verbundkunststoffe lassen sich nicht gut trennen“, sagt Peter Kurth, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). Joghurtbecher zum Beispiel werden mit kleinsten Mengen Aludeckel gebrannt. Daher ist es wichtig, die beiden vorher voneinander zu trennen.

„Recyclingfähigkeit spielt bei der Gestaltung von Verpackungen heute kaum noch eine Rolle“, sagt Kurth. Wurstverpackungen bestehen teilweise aus fünf verschiedenen Kunststoffschichten mit jeweils unterschiedlicher Funktion (luftdicht, gasdurchlässig, wasserdicht, fest, UV-dicht). Diese Schichten können nicht getrennt werden, die Verpackung wird automatisch verbrannt.

Der heilige Gral der Industrie ist es, aus unterschiedlichsten Materialien einen homogenen Kunststoff zu formen: das sortenreine Recyclingmaterial. Es ist der Rohstoff für neue Kunststoffprodukte. Einige Hersteller werben bereits mit „100% recycelten“ Aufklebern auf ihren Verpackungen.

Was Verbraucher wahllos in die Gelbe Tonne stopfen, kommt als Pressballen unter anderem beim führenden Recycling- und Umweltdienstleister Alba in Eisenhüttenstadt an. Dort landet es auf dem Seziertisch von Manica Ulcnik-Krump. Die zierliche Blondine ist die Kunststoff-Koryphäe bei Alba: Neben dem Werk in Eisenhüttenstadt betreibt sie auch das firmeneigene Kunststoff-Forschungszentrum im slowenischen Maribor.

„Wenn die vorsortierten Kunststoffe hier in Ballen ankommen, klassifizieren wir die Qualität und teilweise die Homogenität der Materialart und erfassen diese mit einem Barcode möglich", sagt Ulcnik-Krump. Dabei geht sie an ein paar blau-weiß-gelben Kugeln vorbei, die bei näherer Betrachtung fast ausschließlich zerdrückte Becel-Margarinebecher enthalten.

Hier werden vor allem Verpackungsabfälle aus Polypropylen (PP) und Polyethylen (PE) verarbeitet. Was hier als erkennbare Verpackung ankommt, wird zunächst geschreddert, dann werden die verschiedenen Materialkomponenten mittels Sieb, Magnet und Heißluft voneinander getrennt. Anschließend wird der Kunststoff bei rund 200 Grad geschmolzen und zu etwa fünf Millimeter großen Pellets geformt, die millionenfach vom Band rieseln. 85 Mitarbeiter verarbeiten hier jährlich rund 50.000 Tonnen Kunststoff.

„Was genau hinzukommt, ist unser Entwicklungswissen und -geheimnis“, sagt Manica Ulcnik-Krump nicht ohne Stolz. „Wir schaffen es, mit neuen Kunststoffen in technischer Qualität – wie Bruchfestigkeit oder Elastizität – zu konkurrieren. Wenn man es richtig macht, kann man sich kein besseres Recyclingmaterial als Kunststoff vorstellen.“

Leider wird es noch lange nicht überall richtig gemacht. Plastik ist und bleibt Teufelszeug. Jedes Jahr bestehen 75 Prozent des Mülls, der ins Meer gespült wird, aus Plastik. Eine Plastikflasche braucht etwa 450 Jahre, um sich im Meer zu zersetzen. Der Kunststoff verrottet nicht, sondern zerfällt in immer kleinere Stücke. Und so gelangt es überall hin, auch in die Nahrungskette. 

Der Anteil an Mehrwegflaschen ist in den letzten 20 Jahren von 93 auf 40 Prozent gesunken. Das Dosenpfand konnte den Rückgang der Mehrwegflasche nicht aufhalten. Möglicherweise, weil die Lagerstätte auf eine gesunde Kreislaufwirtschaft hindeutet. Für 25 Cent pro Flasche kauft man ein gutes ökologisches Gewissen – trotz Plastik.

Für Uwe Tröger war die Einweg-Einzahlung jedoch ein Glücksfall. Es war sein Weg zu einem geordneten Leben. Tröger hat ein besonderes Gespür für Mehrwegflaschen entwickelt. Er kann sie an ihrer Form erkennen. Auch im Dunkeln. Die, mit denen Geld gemacht werden kann, sind die dünnwandigen Einweg-Plastikflaschen. Es sind bis zu 25 Cent pro Stück drin. „Das sind die wichtigsten, die heiligen Flaschen“, sagt der 50-Jährige.

Für ihn sind sie nicht nur Müll, sondern sein Gehalt. Er arbeitet am Hamburg Airport als „Recyclingbeauftragter“ für das Projekt „Spende deine Kaution“. Er will nicht als Pfandsammler bezeichnet werden. "Das klingt, als hätte ich keinen Job." Aber das hat Tröger. Er ist fest angestellt und sein Arbeitsvertrag ist unbefristet. Er erhält den Mindestlohn. Er lebt von dem, was andere wegwerfen: Plastikflaschen und Mehrwegkisten.

Tröger leert die großen durchsichtigen Container, die am Flughafen vor den Sicherheitskontrollen aufgestellt sind. Dort können Reisende ihre Flaschen vor dem Abflug schnell austrinken, die Container dürfen sie nicht mitnehmen. Wenn die Behälter voll sind, kommt Tröger mit einer Sackkarre vorbei und holt sie ab. "Es ist ein bisschen, als würde man Geldfässer herumrollen."

Im September 2015 startete Hamburg Airport gemeinsam mit dem Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“ und dem Grünen Punkt die Aktion „Spenden Sie Ihr Pfand“. Mit dem Erlös werden nun dreieinhalb Arbeitsplätze finanziert – drei Beamte und eine studentische Hilfskraft. Allein im letzten Jahr sammelte das Team 550.000 Flaschen. Als Tröger an diesem Tag auf dem Heimweg von der Arbeit in der S-Bahn saß, entdeckte er im Mülleimer eine Tonne. Er zieht sie heraus und drückt vorsichtig die Dellen aus dem Metall. Wieder 25 Cent. Er stellt die Dose auf den Boden. "Für die Pfandsammler." 

Kann dieser organische Abfall einen Wert haben? Ina Körner stört der Name. „Ich habe mich an den Begriff gewöhnt. Biomüll klingt so abfällig. Biomüll ist eigentlich besser und Bioressourcen noch besser, weil er ein erhebliches Recyclingpotenzial hat“, sagt Körner.

Seit 1994 kompostiert die Wissenschaftlerin, was die meisten Menschen möglichst schnell aus ihrer Küche haben wollen: Essensreste, feuchtes Schnittgut vom Kochen bis hin zu Forellenknochen. Wo andere angeekelt den Kopf verdrehen, schaut Körner ganz genau hin. Aus alten Kartoffelschalen kann man sogar etwas machen, sagt sie. Strom zum Beispiel.

Ihr Arbeitsgebiet ist die 2011 in Hamburg eingeführte Biotonne, davon über 130.000 in der Hansestadt. Rund 70.000 Tonnen Biomüll landen jährlich in Tangstedt nördlich von Hamburg. Hier in der Biogas- und Kompostieranlage Bützberg kippen die LKWs die oft schleimigen Reste aus Küche und Garten ab. Ihre letzte Ruhe findet die Ladung vorerst in einer riesigen Halle, um, wenn nicht für lange, zu verrotten.

In luftdichten Fermentern, also riesigen „Garagen“, machen sich Mikroorganismen bei 38 Grad an die Arbeit, um den organischen Abfall innerhalb von drei Wochen zu zersetzen. Dabei entsteht Gas, das entweder direkt ins öffentliche Gasnetz eingespeist oder in einem Kraftwerk in Ökostrom umgewandelt wird. Rund 11.000 Zweipersonenhaushalte können so komplett mit Strom versorgt werden.

Auch aus Küchenabfällen kann die Abfallwirtschaft viel Gutes machen. Und Körner ist sich sicher: Es könnten mehr sein. Ihre Potsdamer Kollegen forschen derzeit daran, wie man aus dem Zucker in Lebensmitteln Milchsäure raffiniert und daraus Biokunststoff herstellt.

Aber auch wenn sich Ina Körner über gut gefüllte LKWs mit schlechtem Müll freut, würde sie lieber sehen, dass die Leute viel weniger Lebensmittel wegwerfen. „Heute wissen wir oft nicht, wie etwas hergestellt wird, wie viele Ressourcen benötigt wurden und wie aufwändig die Entsorgung ist“, sagt Körner.

Diese Produkte werden daher weniger wertgeschätzt und landen beispielsweise bei Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums zu schnell in der Tonne – und das in erheblichen Mengen. In Lübeck sei der Inhalt der Biotonnen genauer untersucht worden, sagt der Experte. Ein generelles Ergebnis solcher Untersuchungen: Die Hälfte der Lebensmittelabfälle wäre vermeidbar gewesen. 

„Der Verbraucher will es so“, sagt Gerd Hofrichter, Sprecher des Lübecker Familienunternehmens Bäckerei Junge. "Wenn nur noch drei Brötchen in der Auslage sind, kauft niemand in der Filiale etwas." Aus betriebswirtschaftlicher Sicht müssen die Regale voll mit Backwaren sein. Wenn sie abends leer sind, hätte man mehr Umsatz machen können. Es ist ein Teufelskreis, den Lupu durchbricht. Weil er "Brotsparer" ist.

Die Bäckerei Junge hat zwei Brotsparläden in Hamburg und Lübeck eröffnet. Sie sehen aus wie normale Bäckerei-Filialen. Was vorher in den Müllcontainern vor der Fabrik landete, wird hier seit März 2016 verkauft. Brot vom Vortag zu einem vernünftigen Preis. Einwandfreie Qualität. „Besonders beliebt sind die Vollkornbrote“, sagt Melanie Mauritz, Filialleiterin der „Brotretter“ in Hamburg-Bergedorf.

Die meist mehr als vier Euro teuren Dinkel- und Roggenbrote gibt es bei den „Brotsparern“ für 1,29 Euro. Ein Schnäppchen, die Brote sind bei richtiger Lagerung tagelang haltbar.

Es gibt keinen Gewinn aus den "Brotspar"-Filialen. Aber sie sind eine Investition in etwas vielleicht viel Wertvolleres: soziale Verantwortung. Hier werden nicht nur Lebensmittel gerettet, sondern auch Menschen wie Lupu. Er hat erstmals einen unbefristeten Arbeitsvertrag, ist krankenversichert und hat Anspruch auf Urlaub.

Plastikkarten (wegen einer Namensänderung nach der Heirat), ein Bahnticket (Handy-App funktionierte nicht) und eine Praline aus einem schwachen Moment zerschneiden, vielmehr produzieren die beiden Frauen keinen Müll. Sie sind Teil der „Zero Waste“-Bewegung, die versucht, weltweit möglichst abfallfrei zu leben. Zugegeben, die beiden Hamburgerinnen treiben es auf die Spitze, zeigen aber auch, dass es geht – wenn man sich bewegt.

Außerdem: Oma hat in den 50ern nicht anders gelebt. „Zero Waste“ ist eigentlich nur eine Rückkehr zum Bewährten. Großmutter holte den Markt ein, wie die Hamburger sagen, brachte den Korb zum Bäcker und holte lose Produkte im Lebensmittelladen ab. Heute heißt es „unverpackter Laden“.

Riechmann und Seth kaufen kaum etwas im Supermarkt. Würde man sogar Bio-Gurken in Folie einschweißen, wäre das Glas im Handumdrehen voll. Den Großteil des täglichen Bedarfs bekommt man im "Stückgut", einem Unverpackt-Laden in Hamburg-Altona. Hier kann jeder seine eigenen Behälter mitbringen und die Ware grammweise in Gläser, Mehrwegdosen und Stoffbeutel abfüllen. Nudeln, Reis oder Haferflocken gibt es in großen Spendern, Nüsse oder Schokolade können Stück für Stück aus Glasbehältern entnommen werden.

Der Store läuft gut, in Hamburg wird demnächst eine zweite Filiale eröffnet. Auch in vielen anderen Städten sind in den letzten Jahren Unverpackt-Läden entstanden. Natürlich ist es etwas teurer als im Discounter. "Wir geben nicht mehr Geld aus als zuvor", sagt Seth. Denn das Unverpackt-Prinzip erlaubt es ihr, nur die Mengen zu kaufen, die sie wirklich braucht. „Wir kaufen bewusster ein“, ergänzt Riechmann. Und wirf keine Lebensmittel mehr weg.

Das Leben mit einer müllfreien Existenz in Einklang zu bringen, mag radikal erscheinen. Doch so wie sich Oma nicht als Lifestyle-Hipster der Müllvermeidung sah, verstehen sich die beiden Frauen als Missionarinnen, die mit anderen über ihr Lebensmodell sprechen wollen. Sie sind keine Blaupause für die Massen. Sie zeigen nur: Müllvermeidung kann auch im Alltag erfolgreich sein. Falls Sie es wollen. 

Nur was nicht mehr recycelt werden kann, soll tatsächlich in der Verbrennung landen. Ein Blick in die Kehle der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße in Hamburg zeigt: So einfach ist das nicht. Kinderwindeln, Tampons, Staubsaugerbeutel oder Katzenstreu – vieles mehr sollte eigentlich nicht aus dem LKW in die tiefe Grube gekippt werden.

Aber beim Entladen des Müllwagens hört man deutlich das Klirren von Glas. Auch viele Folien, alte Töpfe, Spielsachen und Essensreste rutschen in den Bunker, einen tiefen Betonverlies für den Müll. Von hier geht es in den über 800 Grad Celsius heißen Ofen. Bis zu 300 Müllwagen kippen hier täglich ihre Ladungen ab. Mehr als 327.000 Tonnen pro Jahr. Und obwohl sich die Hamburger immer besser trennen, wächst die Menge, die hier verbrannt wird. 

Zurück bleibt nach dem Verbrennen Schlacke, ein Gemisch aus Asche und unverbranntem Material. Doch damit endet die Kreislaufwirtschaft nicht. In Hamburg wird die Schlacke zu einem sogenannten Sekundärbaustoff. Aber einen Haken gibt es: Die Schlacke ist ein fieses Periodensystem-Potpourri aus Blei, Eisen, Nickel, Kupfer, Zinn und Salzen. Alles, was nicht mit Grundwasser in Berührung kommen soll.

Die Abfallwirtschaft forscht erst seit wenigen Jahren an sauberer Schlacke und entwickelt Maschinen, die mittlerweile 70 Prozent der Metalle zurückgewinnen können. Und je wertvoller die Metalle werden, desto mehr lohnt es sich, mit ihnen Geschäfte zu machen. „Wir lassen jährlich rund drei Millionen Euro in der Schlacke, die wir irgendwann rausholen könnten“, sagt Stefan Lübbe, Klimaschutz- und Energieeffizienzbeauftragter der Hamburger Stadtreinigung. Da ist definitiv was los.

Voraussetzung für das Recycling ist die richtige Mülltrennung. Hier finden Sie Tipps vom NABU

Bis die Schlacke sauberer wird, darf sie nur unter strengen Auflagen verwendet werden: Der Ersatzbaustoff zum Beispiel darf nicht mit dem Grundwasser in Berührung kommen. Auch die Grenzwerte für die enthaltenen Metalle dürfen nicht überschritten werden. Ein Hamburger Paradebeispiel für die großflächige Nutzung von Schlacke als Baustoff ist der Containerterminal Altenwerder. Anstelle von Beton wurden Hunderttausende Tonnen Schlacke unterirdisch gebaut. Dort entsprach das Material den Anforderungen. Aber auch im Straßen- und Wegebau wird die Schlacke als Zwischenschicht beim Asphaltieren eingesetzt. Und so kommt es, dass viele Hamburger, wenn sie ihren Mülleimer auf die Straße rollen, schon die ersten Meter des großen Recyclingweges für ihren Müll laufen.

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